Die Herzratenvariabilität (manchmal auch Herzfrequenzvariabilität genannt) bezeichnet die Fähigkeit des Organismus die Frequenz des Herzrhythmus zu verändern.
Im ersten Moment mag es gut klingen, wenn Ihr Herzschlag stets gleich und regelmäßig ist. Doch wenn sich ein Freund hinter einer Tür versteckt und Sie erschreckt, wäre es eher unüblich, dass ein Herzschlag nicht steigt.

Ein gesundes Herz ist in der Lage sich auf innere und äußere Einflüsse einzustellen und sich laufend den aktuellen Erfordernissen anzupassen. Wenn Sie sich also körperlich oder geistig anstrengen, führt dies in Regel zu einer Erhöhung der Herzfrequenz, bei Entlastung oder Entspannung geht diese dann wieder zurück. Die HRV kann also als ein Spiegelbild für ein funktionierendes aber auch ein gestörtes vegetatives Nervensystem gesehen werden. So existiert beispielsweise ein Zusammenhang zwischen einer verminderten HRV und Postinfarkt-Mortalität.

 

Grundlagen der Herzratenvariabilität

Die ersten Berichte zur HRV (natürlich hieß das Phänomen damals noch nicht so) gab es bereits im dritten Jahrhundert. Der chinesische Arzt Wang Shu-he erkannte, dass ein variabler Herzschlag ein Anzeichen für die Gesundheit des Klienten ist. Von ihm stammt der Ausspruch:

„Wenn das Herz so regelmäßig wie das Klopfen eines Spechtes oder das Tröpfeln des Reges auf dem Dach wird, wird der Proband innerhalb von vier Tagen sterben“.

Heute wissen wir, dass der Wang Shu-he recht hatte. 8 Tage vor dem Herzstillstand schlägt das Herz eines Menschen schneller und 13 Stunden vor dem Tod verschwindet das „Chaos“ aus den Kurven, das Herz schlägt also fast vollkommen regelmäßig. Natürlich gab es damals keine Messinstrumente zur genauen Erhebung des Herzschlages, was die Arbeit von Wang Shu-he wahrscheinlich erschwerte. Heute gibt es aber (neben Geräten wie dem Stethoskop) elektronische Hilfsmittel, welche uns die präzise Ableitung des Herzschlags erlauben. Diese Ableitungen werden in der HRV-Diagnostik und im HRV-Training verwendet.

Eine hohe HRV kann sinngemäß als eine höhere Anpassungsfähigkeit des Organismus verstanden werden. Durch chronischen Stress ist diese Variabilität aber oft mehr oder weniger eingeschränkt. Dieser Einfluss von Stress ist der Grund warum eine Verbesserung der HRV beispielsweise oft über Entspannungsübungen wie in einem Atemtraining angestrebt wird. Durch eine entspannte Atmung sinkt der Stress und die HRV steigt. Sehr nützlich ist auch die Darstellung der Atemzüge pro Minute, um über diese Erfassung festzustellen, bei welcher Atemfrequenz ein Klient die beste HRV hat.

Training und Diagnostik

Die Herzratenvariabilität kann grob in zwei Bereich unterteilt werden, nämlich die HRV-Diagnostik und das HRV-Training.

HRV-Diagnostik

Im Rahmen der HRV-Diagnostik wird die Ausprägung der Variabilität des Herzens erhoben. Dies kann entweder im Rahmen einer Kurzzeitdiagnostik erfolgen oder durch eine 24h-Speichermodus. Je kürzer die Erfassung ist, desto mehr Wert muss auch auf eine artefaktfreie Erfassung gelegt werden. Bei langen Erfassungen sind diese nicht so tragisch, da sie durch die vielen Messzeitpunkte ja heraus gemittelt werden (Biolife erkennt Artefakte und korrigiert diese – sollten zu viele Artefakte stattgefunden haben erhalten Sie einen entsprechenden Hinweis, dass die Datenqualität der Erfassung nicht ausreicht).

Eine Speichermodus muss natürlich nicht 24 Stunden lang sein, auch kürzere Erfassungen sind möglich. Der Vorteil einer 24h-Erfassung ist aber unter Anderem, dass wir ein Bild vom gesamten Tagesablauf des Klienten erhalten (inkl. des Schlafes), aus dem wir natürlich viel ableiten können.

Die 24h-Erfassungen werden gemäß einer allgemeinen Norm in 5-Minuten Abstände unterteilt. Die Auswertung dieser Erfassungen werden von den Anwendern anhand fester Schemata (z.B die numerischen Werte), aber auch auf Basis von Erfahrung durchgeführt (sinngemäß genauso wie ein erfahrener Arzt Auffälligkeiten auf einem Röntgenbild sofort erkennen kann). Mehr dazu im Abschnitt „Interpretation“.

Es sei auch anzumerken, dass man sich (entgegen der ersten, intuitiven Annahme) keine großen Sorgen machen muss, dass die Tagesverfassung des Klienten die HRV-Erfassung beeinträchtigt. Die HRV ist von Tag zu Tag nämlich recht stabil, Einflüsse gibt es aber z.B durch Medikamente oder Fieber.

HRV-Training

Die HRV kann nicht nur diagnostiziert werden (sonst hätten wir ja ein Problem, wenn sie schlecht wäre und wir nichts dagegen tun könnten), sondern auch trainiert. Um dies zu erreichen gibt es zwei häufig angewandte Wege.

Einerseits kann wie oben erwähnt durch allgemeine Entspannung die HRV verbessert werden. Sehr oft wird hierzu ein Atemtraining angewandt. Der Hintergedanke ist, dass ein gestresster Organismus stets „am oberen Limit arbeitet“ und dadurch die Variabilitätsmöglichkeiten begrenzt sind (sie sind ja schon ganz oben). Hier muss dem Klienten nicht einmal unbedingt der Herzschlag rückgemeldet werden.

Der andere Weg ist über das Training der respiratorischen Sinusarrythmie. Zu dieser Modalität kommen wir noch im Detail. Grundlegend wird hier der Einklang von Atmung und Herzschlag trainiert. Der Klient betrachtet beide Werte gleichzeitig und soll versuchen hier eine Kohärenz herzustellen. Genauso wie bei vielen Biofeedback-Modalitäten geschieht dies oft nicht über bewusst-aktives Tun, sondern über passives „Passieren-Lassen“.

Beispielhafte Anwendungsgebiete

Die Arbeit mit der HRV zeigt bei vielen Störungsbildern beeindruckende Erfolge, einige seien im Folgenden beispielhaft genannt.

Stress, Depression und Angst
Im Rahmen von Studien konnte eine Reduzierung der Symptome von Stress, Angst, und Depression nach 4-5 Wochen festgestellt werden12.

Eine weitere Studie aus Deutschland hat auch ergeben, dass Probanden nach einer Behandlung mit HRV-Biofeedback neben niedrigeren Depressionswerten auch eine verbesserte Herzratenvariabilität und verringerte Angst und niedrigeren Herzschlag zeigten3.

Bluthochdruck
Eine Studie unter Verwendung von HRV-Biofeedback zeigte eine Verbesserung des Baroreflexes, der autonomen Funktion und Reduzierung des Blutdrucks4.

Leistungssport
Hier konnte z.B durch ein HRV-Training die Trainingsleistung eines Golfspielers besser auf Wettkampfsituationen übertragen werden5.

    Betriebliche Gesundheitsförderung
    In einer Studie mit Managern zeigte sich HRV-Biofeedback als effektiv zur Verbesserung der kardialen autonomen Balance und in der Reduktion von stressbezogenen psychophysiologischen Outcomes6

    Fazit zur Studienlage
    Die Arbeit mit HRV steht also auf soliden, evidenzbasierten Grundlagen. Der breite Anwendungsbereich ergibt sich wohl einerseits aus der Tatsache, dass Biofeedback ganz generell eine sehr vielfältig einsetzbare Methode ist und andererseits dadurch, dass die HRV ein solch grundlegender Parameter für die Gesundheit und Widerstandskraft des Organismus ist.

    Quellen:

    1. Purwandini Sutarto, A., Abdul Wahab, M. N., & Mat Zin, N. (2012). Resonant breathing biofeedback training for stress reduction among manufacturing operators. International Journal of Occupational Safety and Ergonomics, 18(4), 549-561.
    2. Ratanasiripong, P., Kaewboonchoo, O., Ratanasiripong, N., Hanklang, S., & Chumchai, P. (2015). Biofeedback Intervention for Stress, Anxiety, and Depression among Graduate Students in Public Health Nursing. Nursing research and practice, 2015.
    3. Siepmann, M., Aykac, V., Unterdörfer, J., Petrowski, K., & Mueck-Weymann, M. (2008). A pilot study on the effects of heart rate variability biofeedback in patients with depression and in healthy subjects. Applied psychophysiology and biofeedback, 33(4), 195-201.
    4. Lin, G., Xiang, Q., Fu, X., Wang, S., Wang, S., Chen, S., … & Wang, T. (2012). Heart rate variability biofeedback decreases blood pressure in prehypertensive subjects by improving autonomic function and baroreflex. The Journal of Alternative and Complementary Medicine, 18(2), 143-152.
    5. Lagos, L., Vaschillo, E., Vaschillo, B., Lehrer, P., Bates, M., & Pandina, R. (2008). Heart rate variability biofeedback as a strategy for dealing with competitive anxiety: A case study. Biofeedback, 36(3), 109.
    6. Munafò, M., Patron, E., & Palomba, D. (2015). Improving Managers’ Psychophysical Well-Being: Effectiveness of Respiratory Sinus Arrhythmia Biofeedback. Applied psychophysiology and biofeedback, 1-11.

    Erfassung der Herzratenvariabilität

    Was wird genau geerfassen?

    Die Herzratenvariabilität betrachtet die Abstände zwischen zwei Kontraktionen der Herzkammern, also die Zeit zwischen zwei Herzschlägen. Dieser Abstand wird als RR-Intervall oder (aufgrund der Überschneidung von „RR“ mit einem anderen medizinischen Begriff) auch als NN-Intervall bezeichnet. Dieses Intervall lässt sich mathematisch auch in die Herzfrequenz umrechnen, für uns ist in Zusammenhang damit aber vor Allem wesentlich, dass dieses RR-Intervalle in der Regel nicht gleich lang sind, sie unterliegen Schwankungen. Die Erfassung der Größe ebendieser Schwankungen ist, dass was wir eben als HRV bezeichnen.

    Technische Durchführung der Erfassung

    Um den Abstand zwischen zwei Herzschlägen erfassen zu können, müssen wir wie bereits erwähnt diese Herzschläge erfassen und darstellen. Um das Ganze zu veranschaulichen, verwenden wir hier den Ablauf wie man ihn mit dem Neuromaster-System durchführen würde.

    Erfassung über einen Fingersensor

    Es ist möglich den Abstand zwischen den Herzschlägen mit einem Fingersensor zu erfassen. Dieser misst über das Verfahren der Pulsoxymetrie den Herzschlag und stellt diesen dar.

    Während diese Methode für Anwendungen in denen der Puls als Indikator für generellen Stress verwendet wird sehr gut funktioniert, ist die Messgenauigkeit für professionelles HRV-Training und vor Allem HRV-Diagnostik zu gering (die Auflösung ist nicht hoch genug, ein Punkt zu dem wir gleich kommen.

    Die Methode kann aber angewandt werden um z.B den Klienten über das grundlegende Prinzip aufzuklären und auch um einfaches HRV-Training durchzuführen. Die besser geeignete Methode verwendet einen hochauflösenden EKG-Sensor und die Auswertung dieser Daten in einer HRV-Software.

     

    Erfassung über einen EKG-Sensor

    Der sogenannte Königsweg um die HRV zu erfassen ist ein EKG. Beim Neuromaster-System findet sich dieses im (Nomen est Omen) gleichnamigen EKG-Sensor.

    Diese Module erfassen den Herzschlag viel genauer, als die z.B der Fingersensor oder ein einfacher Pulsmesser könnte.

    Allerdings ist nicht jedes EKG-System in der Lage eine HRV zu erfassen, welche auch sinnvoll für eine HRV-Diagnostik einzusetzen ist. Hier wird eine gewisse Abtastrate benötigt, also eine hohe Genauigkeit der Aufzeichnung. Um die HRV sinnvoll zu erfassen, muss die Abtastrate über 1000 Hertz liegen. Interessiere Anwender sollten sich über diesen Faktor also auf jeden Fall informieren.

    In der Anwendung ist die Erfassung keine große Hexerei, meistens gibt es ja Anleitungen wie die Elektroden platziert werden müssen. Anbei finden Sie z.B die Anleitung aus dem Biolife-Trainingmanual.

    Die respiratorische Sinusarrhythmie – Herzschlag und Atmung

    Die Funktion des Körpers welche die Reagibilität des Herzens am besten darstellt dürfte die, bereits kurz erwähnte, sogenannte Respiratorische Sinusarrhythmie (RSA) sein. Hinter diesem Wortungetüm versteckt sich schlicht der synchrone Zusammenhang von Atmung und Herzschlag. Falls Sie schon einmal selbst an ein Krankenhaus-EKG mit Ton angehängt waren, haben Sie vielleicht bemerkt, dass das „Biep“-Geräusch beim Einatmen schneller und beim Ausatmen langsamer wurde. Genau darum geht es.

    Die Anpassung des Herzens an die Atmung hat sich als idealer HRV-Parameter gezeigt und Studien konnte auch feststellen, dass bei Emotionen wie Liebe oder Dankbarkeit diese RSA steigt, während diese Balance bei Stress, Ärger und Angst verschwindet.

    Während einerseits also ganz generell Atembiofeedback dazu angewandt wird über eine entspannte Atmung die HRV zu verbessern, kann durch der Klient durch die gleichzeitige Rückmeldung von Atmung und Herzfrequenz erlernen diese Werte in Einklang zu bringen.

    Im folgenden Video berichtet Dr. Dieter Kropfreiter am Fachtag für Psychosomatik kurz über die Anwendung des RSA-Trainings.

    Interpretation der Herzratenvariabilität

    Wie wir gesehen haben ist das Herz kein Pendel, welches immer gleichmäßig schlägt, sondern unterliegt Schwankungen. Hinter diesen Schwankungen, verbergen sich für den Anwendern wichtige Informationen. Doch wie extrahieren wir diese Informationen?

    Um die HRV alleine aus der EKG-Kurve abzuleiten bedarf es Kompetenz und Übung. Denn auch ein auf den ersten Blick total regelmäßig erscheinendes EKG kann variabel sein, wenn wir uns die RR-Werte genauer ansehen.

    Eine schöne erste Variante um die HRV zu bewerten bietet sich bei gleichzeitiger Betrachtung von Atemkurve und Herzschlägen pro Minute. Wenn sich die Bewegung des Einatmens (Atemkurve steigt) und Ausatmens (Atemkurve sinkt) im Einklang mit einer Erhöhung respektive Senkung des Herzschlages befinden, ist dies schon einmal ein positives Zeichen.

    Eine weitere umfassende Möglichkeit bieten diverse HRV-Werte und Diagramme, welche wir nun kurz besprechen werden.

    Werte

    Im Rahmen der HRV werden Ihnen immer wieder einige Werte über den Weg laufen. Sie sehen diese z.B hier im Rahmen eines Outputs aus der Biolife-Software. Über einige dieser Werte gibt es nun ein paar Informationen.

    SDNN
    Die SDNN bezeichnet die Standardabweichung aller RR-Intervalle, also die Varianz, welche wir über die gesamte Erfassung beobachten konnten. Eine hohe SDNN steht hier dementsprechend für eine ausgeprägte Herzratenvariabilität.

    Wichtig bei der SDNN ist, dass diese nur bei gleicher Messdauer und gleichbleibender Aktivität (mit sich selbst und anderen vergleichen werden darf, da diese Faktoren einen Einfluss auf den Wert haben. Welche Werte hier als „gut“, bzw. „im Schnitt“ zu bezeichnen sind, ist auch altersabhängig.

    PNN50
    PNN50 bezeichnet den Prozentsatz aller Intervalle, welche mindestens um 50ms vom vorausgehenden Intervall abweichen. Hohe Werte stehen hier für eine stärkere Langzeitvariabilität und vermehrte parasympathische Aktivität. Im Vergleich zu SDNN ist PNN50 stabiler und unempfindlicher.

    VK (Variationskoeffizient)
    Ein sehr praktischer Wert in der Auswertung. Es handelt sich hier um die auf den Mittelwert bezogene Standardabweichung der RR- Abstände. Je größer dieser Wert ist, desto größer ist auch die HRV.

    Weitere Werte
    Wie Sie am Bild sehen können, gibt es in der HRV-Auswertung noch viele andere Parameter (LF/HF, Poincarè-Diagramm. Die Besprechung würde hier allerdings ein wenig den Rahmen sprengen. Doch keine Sorge – in der Biolife-Bedienungsanleitung werden diese Werte erklärt und auch Normtabellen sind angegeben.

    Fazit

    Wie Sie sehen können, ist die Arbeit mit der Herzratenvariabilität und Biofeedback ein spannendes Teilgebiet der Psychophysiologie. Ein wesentlicher Vorteil von Biofeedback (im Vergleich zu einfachen Messgeräten) ist natürlich die Option die HRV nicht nur zu erheben, sondern auch direkt zu trainieren.

    Ohne zu übertreiben kann das HRV-Biofeedback als einer der aktuellen Superstarts des Biofeedback bezeichnet werden. Regelmäßig werden hier Studien veröffentlicht, welche die Wirksamkeit der Methode bei vielerlei Störungsbildern belegen. Persönlich gehen wir auch nicht davon aus, dass dieser Trend unterbrochen werden wird, was einer der Gründe war, warum das Neuromaster-System mit einem EKG-Sensor ausgestattet wurde.

    Auch bei Anwendern zeigt sich die Methode als sehr beliebt. Trotz der relativ hoch wirkenden Komplexität des Themas lässt sich schnell ein Einstieg in die Methode finden und auch Klienten verstehen das Konzept erfahrungsgemäß sehr rasch. Unterstützung bei der Einführung kann eine kurze HRV-Ausbildung bieten.

    Zum Thema Quellen und weitere Infos: viele Informationen zur HRV stammen aus dem Grundlagenwerk von Frau Dr. Eller Berndl: Eller-Berndl, D. (2010). Herzratenvariabilität. Verlag-Haus d. Ärzte. 
    Vor Allem in Bezug auf die HRV-Diagnostik ist dieses Buch jedem Interessierten zu empfehlen!