Biofeedback bei Tinnitus: Erfahrungen aus der Praxis

von , | 11. Juli 2025 | Erfahrungsberichte, Anwendungsgebiete, Biofeedback, Tinnitus

In diesem Interview erklärt Mag. Hanno Prettner wie er Biofeedback in der Tinnitusbehandlung einsetzt. Er ist angehender Psychotherapeut aus der Richtung der Existenzanalyse und Logotherapie und arbeitet seit rund drei Jahren als Bio- und Neurofeedbacktrainer in einer psychologischen Praxis in Klagenfurt mit Schwerpunkt Tinnitustherapie.

Frage: Was ist Ihnen in der Arbeit mit Tinnitus-Patient:innen besonders wichtig?

Antwort: Neben einer wertschätzenden, ernstnehmenden Haltung gegenüber den Patient:innen ist es mir besonders wichtig, deren Selbstwirksamkeit zu stärken. Biofeedback – und auch Neurofeedback – ist dabei für mich ein zentrales Werkzeug, weil es sehr schnell Wirkung zeigen kann. Vor allem bei Übererregungszuständen wie Aggression, Frustration oder Schlaflosigkeit bietet Biofeedback Patient:innen eine Möglichkeit zur Eigenregulation. Sie erleben Entlastung, weil sie nicht mehr hilflos dem ausgeliefert sind, was in ihnen passiert. Deshalb ist es für mich ein unverzichtbarer Bestandteil in der Tinnitus Therapie geworden.

Frage: Welche weiteren Beschwerden schildern Tinnitus-Patient:innen Ihrer Erfahrung nach, bei denen Biofeedback unterstützend wirken kann und die Behandlung erleichtert? Und welche Veränderungen sehen Sie, wenn Patient:innen über mehrere Wochen begleitet werden?

Antwort: Was ich in den ganzen Jahren feststellen durfte, ist, dass bei sehr vielen Patienten eine sehr hohe muskuläre Anspannung vorhanden ist. Speziell in den Bereichen des Trapezmuskels, des Kiefermuskels und auch des langen Halsmuskels. Hier empfehle ich besonders EMG-Trainings, z.B. mit der Sitzungsbibliothek Easy-Start, in der die Muskelspannung gut sichtbar wird. Ich arbeite auch gerne mit dem EMG-Tacho. Ein weiterer wichtiger Ansatzpunkt ist die Atmung. Viele Tinnitus Betroffene zeigen eine flache Brustatmung, oft verbunden mit muskulärer Beteiligung der angesprochenen Muskelgruppen. Daher ist das Erlernen einer tiefen, entspannten Bauchatmung ohne Muskelbeteiligung ein zentrales Ziel im Training – und gleichzeitig ein gutes Indiz für die Entspannung des Gesamtsystems.

Frage: Das bedeutet, dass Parameter wie Muskelspannung, Atmung sowie solche, die das Stressniveau und die Balance zwischen Sympathikus und Parasympathikus abbilden, gut für den Einsatz in der Tinnitusbehandlung geeignet sind. Je nach individueller Symptomatik und dem, was Patient:innen berichten, lässt sich daraus ein passendes Trainingsprotokoll ableiten. Welche Herausforderungen oder Grenzen erleben Sie dabei?

Antwort: Eine der größten Herausforderungen ist der hohe Erwartungsdruck vieler Patient:innen – vor allem, wenn der Tinnitus noch relativ neu ist .Viele kommen mit der Vorstellung: „Der Tinnitus muss weg und zwar schnell!“ Häufig glauben sie, dass sich das Geräusch innerhalb von drei Monaten bessern muss, sonst bleibt es für immer. Diese Dringlichkeit erzeugt zusätzlichen Stress, der die Wahrnehmung des Tinnitus noch verstärken kann, was wiederum mehr Stress auslöst. Es entsteht ein Teufelskreis. Das heißt, das wichtige ist einmal zu lernen, mit Akzeptanz-Training, den Tinnitus als das zu nehmen, was es ist, nämlich ein Ohrgeräusch und mehr nicht. Die Patient:innen müssen verstehen, dass der Tinnitus in erster Linie ein Symptom ist, nicht die Krankheit selbst. Und dass es möglich ist, mit dem Geräusch zu leben, es zu integrieren, auch wenn es nicht verschwindet.
Da ist Biofeedback ein zentrales Element in der Tinnitus Therapie. Ich würde nicht mehr darauf verzichten wollen, weil man so gut diese Selbstwirksamkeit darstellen kann und die Personen einen Einblick bekommen in ihren Körper und sich nicht ihren eigenen Körpern hilflos ausgesetzt fühlen. Das heißt sie lernen klar, was muss ich machen, damit sich gewisse Parameter in gewisse und gewünschte Richtungen entwickeln. Biofeedback ist hierbei ein für mich unerlässliches Tool geworden.

0 Kommentare

Einen Kommentar abschicken

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert