Chronische Schmerzen gehören zu den häufigsten Gründen für Arzt- und Therapiebesuche. Doch trotz medizinischer Abklärung und oft auch erfolgreicher Schmerzdiagnostik bleibt die Frage: Wie kann der Patient lernen, selbst aktiv mit dem Schmerz umzugehen? Eine zentrale Rolle spielt dabei die Selbstwirksamkeitserwartung – also die Überzeugung, durch eigenes Verhalten Einfluss auf den Schmerz nehmen zu können. Genau hier setzt Biofeedback an.
Was bedeutet Selbstwirksamkeit im Schmerzkontext?
Albert Bandura, der den Begriff der Selbstwirksamkeit in der Psychologie prägte, beschrieb sie als „den Glauben an die eigene Fähigkeit, bestimmte Aufgaben erfolgreich auszuführen“. Für Schmerzpatienten bedeutet das: Vertrauen darauf, körperliche Reaktionen beeinflussen und Schmerzintensität oder -bewertung selbst modulieren zu können.
Studien zeigen, dass ein hohes Maß an Selbstwirksamkeitserleben bei chronischen Schmerzpatienten mit besserer Lebensqualität, geringerer Depressivität und einem aktiveren Lebensstil verbunden ist. Doch wie lässt sich dieses Erleben stärken?
Biofeedback – ein aktives Lernverfahren mit sichtbaren Erfolgen
Biofeedback macht unbewusst ablaufende Körperprozesse sichtbar und damit gezielt beeinflussbar. Über Sensoren werden physiologische Parameter wie Muskelspannung, Hautleitwert, Puls oder Atmung gemessen und in Echtzeit auf einem Bildschirm dargestellt. Der Patient erkennt unmittelbar: Was ich denke, fühle oder tue, hat eine Wirkung auf meinen Körper.
Diese visuelle Rückmeldung ist nicht nur faszinierend – sie ist lernpsychologisch hochwirksam. Denn: Wer Veränderungen sieht, kann sie gezielt üben. Biofeedback funktioniert damit wie ein interaktiver Spiegel der inneren Vorgänge – und unterstützt Patienten beim Erlernen funktionaler Regulationsstrategien.
Praxisbeispiel: Schmerzen im Schulter-Nacken-Bereich
Eine Patientin mit chronischer Muskelverspannung im Nackenbereich wird mit EMG-Biofeedback behandelt. Bereits in der ersten Sitzung erkennt sie auf dem Bildschirm, dass allein die Vorstellung einer bevorstehenden Arbeitsbesprechung ihre Muskelspannung deutlich erhöht. In der Folge lernt sie, über gezielte Atemübungen und mentale Fokussierung die Spannung zu senken – sichtbar, messbar, erlebbar.
Nach einigen Sitzungen berichtet sie, dass sie die Techniken auch im Alltag anwenden kann: vor Meetings, bei Stress oder vor dem Einschlafen. Der Schmerz ist nicht verschwunden – aber die Hilflosigkeit hat sich verändert. Genau das ist der zentrale Punkt: Die Patientin hat Handlungsspielräume gewonnen.
Biofeedback fördert Neuroplastizität und nachhaltige Verhaltensänderung
Das Gehirn ist lernfähig – auch im Umgang mit Schmerz. Moderne Studien zeigen, dass Biofeedback-Training die neuronale Verknüpfung von Reiz und Reaktion beeinflusst. Es ermöglicht nicht nur kurzfristige Entspannung, sondern langfristige Reorganisation von Reaktionsmustern. Vor allem in Kombination mit psychotherapeutischen Verfahren wie der kognitiven Verhaltenstherapie lassen sich tiefgreifende Veränderungen erzielen.
Für welche Patienten eignet sich Biofeedback?
Biofeedback kann bei unterschiedlichen Schmerzsyndromen eingesetzt werden, etwa bei:
- Spannungskopfschmerzen
- Migräne
- chronischen Rückenschmerzen
- muskuloskelettalen Beschwerden
- psychosomatisch überlagerten Schmerzsyndromen
Wichtig ist eine gute Diagnostik und ein interdisziplinärer Zugang. Biofeedback ist kein Ersatz, sondern eine wirksame Ergänzung in der Schmerztherapie.
Fazit: Vom Patienten zum aktiven Gestalter
Biofeedback unterstützt Patienten dabei, aus der passiven Rolle des Schmerz-Erleidenden auszusteigen und neue Handlungsoptionen zu entdecken. Das Gefühl, dem Schmerz nicht mehr hilflos ausgeliefert zu sein, sondern aktiv Einfluss nehmen zu können, ist ein entscheidender Wendepunkt im therapeutischen Prozess.
Für Psychotherapeuten, Ärzte und Psychologen bietet Biofeedback ein evidenzbasiertes, praxisnahes Werkzeug, um Selbstwirksamkeit erlebbar zu machen – und damit die Schmerzbewältigung langfristig zu verbessern.
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Quellen:
Didion, N., Kramp, A., & Karstens, S. (2023). Der Einfluss von Selbstwirksamkeit auf die tägliche Bewältigung von Schmerzen bei Patient* innen mit muskuloskelettalen Beschwerden. physioscience, 19(04), 170-179.
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Karasawa, Y., Yamada, K., Iseki, M., Yamaguchi, M., Murakami, Y., Tamagawa, T., … & Inada, E. (2019). Association between change in self-efficacy and reduction in disability among patients with chronic pain. PloS one, 14(4), e0215404.
Nestoriuc, Y., Martin, A., Rief, W., & Andrasik, F. (2008). Biofeedback treatment for headache disorders: a comprehensive efficacy review. Applied psychophysiology and biofeedback, 33, 125-140.
Sielski, R., Rief, W., & Glombiewski, J. A. (2017). Efficacy of biofeedback in chronic back pain: a meta-analysis. International journal of behavioral medicine, 24, 25-41.
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